4-mal X Serie

 4 x 7

 

Für mich war es immer ein Traum, einen Schritt weiterzugehen.

Dieser Traum hält wach

R. Messner

 

Samstag, 18.08.2001

7777

Mir ist schlecht. Aber warum ? Gehe immer weiter aufwärts. Schon seit 5.15 h. Vorbei an dem Gedenkschild für Ulli Maier, bei dem mich jedesmal in der Dunkelheit schaudert, wie letztes Jahr. Der Weg ist steil, steinig und mir bestens bekannt. Niemand scheint außer mir unterwegs zu sein. Anders als beim 1. Versuch Mitte Juli, als mir kurz nach 5 h eine Frau von oben kommend begegnete. Kurz hinter Kreuzeck sitze ich nach 1,5 h auf meiner Bank, frühstücke 3 Müsliriegel. Die Sonne trifft mich mit ihren Strahlen. Küsst mich, beflügelt mich. Weiter hoch, an der Hochalm vorbei zum Einstieg vor der Bernadeienwand. Ich lasse die Stöcke im Rucksack verschwinden und packe sie erst Stunden später an der selben Stelle wieder aus. Die gesicherte Passage der Schöngänge liegt hinter mir. Jetzt kann ich den Gipfel sehen. Schnell bin ich. Stehe um 8.45 oben auf der Alpspitze. Allein oben, wie wohl immer zu dieser Zeit. Ich muss überrascht feststellen, das ich in den Lowa Trekkingschuhen weder orthopädische noch einfache Einlagen habe. Das rächt sich. Die Abstiegspassagen bis hinter die Schöngänge verliefen rasend schnell. Da hier viel Konzentration notwendig ist, bemerkte ich nicht wie die Füße in den blanken Schuhen anfingen zu brennen. Mit zunehmendem Abstieg brannten die Fußsohlen lichterloh. Aber es gab keine Alternative. Im letzten Abstiegsdrittel machte sich auch das rechte Knie bemerkbar. Dann war ich wieder beim Auto auf dem Alpspitzparkplatz. Jetzt aufhören, aufgeben ?

Ich döste etwas, aber die Antwort auf die Frage war einfach ! Um 12.30 ging ich mit den Lowa Schuhen und Einlagen wieder den Weg aufwärts. Hochwärts spürte ich das Brennen der Füße nicht mehr so arg, auch das Knie, das zwar stetig irgendwelche Signale ans Hirn sendete, beeindruckte mich nicht. Es war jetzt warm geworden. Der Durst war ständig präsent. Wieder machte ich kurz hinter Kreuzeck eine erste kleine Pause. Noch hätte ich abdrehen gekonnt. Die 3333 Tour vom letzten Jahr wiederholen. Ich lief ein Stück mit einer älteren Dame. Sie nannte mich bei meinem Vorhaben die Alpspitze zu besteigen einen Bergsteiger, ich milderte auf Bergwanderer ab. Auch oben kurz vor dem Einstieg bei den Bernadeienwänden hätte noch die Chance bestanden abzudrehen. Ich lies sie verstreichen. Das Ziel war ein anderes.

In den Schöngängen, an der kritischen Stelle mit den Eisenstiften begegnete mir ein schwäbischer Bergkamerad. Er wunderte sich das ich so spät noch nach oben wolle. Ich sagte ihm nicht das ich auch schon ganz früh hier war. Ich ging weiter nach oben, nicht so schnell wie beim 1.Mal aber stetig. Manchmal musste ich kurz stehenbleiben, zum verschnaufen. Es war nicht sehr viel Betrieb auf der Strecke. Ich musste an die tragische Everest Expedition 1996 denken und wie wichtig es ist nicht nur oben anzukommen, sondern auch wieder zurück zu kommen. Um 16 h war ich oben. Ich hatte keinen Hunger. Trank nur etwas, wobei ich jeden Schluck kaute, um ihn länger im Mund zu halten. Ich döste etwas.

Dann war ich wieder unterwegs nach unten. Bald merkte ich, das ich die Schmerzen am Knie unterschätzt hatte. Das Gedächtnis rief mir die wenigen Bilder wach, die ich unter diesen Umständen abgelegt hatte. Das lies nichts gutes Erahnen. Die ersten 800 HM ohne Stöcke, da sie keinen Sinn machten in dem steilen Geröll und den Klettersteigpassagen. Es ging sehr viel langsamer voran als heute früh. Ich tänzelte nicht abwärts sondern suchte so gut es ging das rechte Bein zu entlasten. Jede Biegung des Beines verursachte Schmerzen. Mit am besten waren noch die Passagen, wo ich beide Arme einsetzen konnte und mich so gut an den Felsen abstützte und das Bein entlastete. Dann war ich wieder am Einstieg bei den Bernadeienwänden. Ich hoffte jetzt durch den Einsatz der Stöcke das Bein gut entlasten zu können. Auf der zunächst flachen Passage lief es auch gut. Sobald es aber wieder steiler wurde war es praktisch unmöglich, mit gestrecktem rechten Bein zu gehen. Ich malte mir aus unten bei der Hochalm noch einmal zu rasten und stellte mir ein extra großes Spezi vor. Unten angekommen stand ich schon vor verschlossener Tür ! Dann genoss ich den letzten Schluck aus meiner Trinkflasche. Mir war nicht bange es nicht nach unten schaffen zu können. Es war wie ein Programm das ablief. Automatismus. Je steiler der Weg abwärts ging, desto langsamer kam ich voran. "Wer glaubt hat das ewige Leben" steht auf dem Schild das an Ulli Maier erinnert. Im Wald war es schon wieder dämmrig geworden. Kurz nach 20 h war ich wieder unten beim Auto. Ich war dankbar und müde. Nicht mehr. Mehr nicht.

 

7777 Höhenmeter an einem Tag

Gesamtgehzeit: 12.10 h

Durchschnittliche Aufstiegsgeschwindigkeit: 608 Höhenmeter pro Stunde

Durchschnittliche Abstiegsgeschwindigkeit: 690 Höhenmeter pro Stunde

Gesamtdurchschnitt Auf-/Abstiegsgeschwindigkeit: 630 Höhenmeter pro Stunde

 

Anmerkungen:

Die Frage nach dem Warum stellt sich nicht

Die Entscheidung trifft der Geist

Menschen sind in einem weit höheren Maße fähig Leid und Schmerzen zu ertragen als den meisten bewusst ist

Man kann eine weite, schier unendliche Welt entdecken, in sich selbst

Auf dieser Reise auf Erden kenne ich das Ziel nicht - ich möchte nicht ankommen