4-mal X Serie

 4 x 9

 

“Mountains are cathedrals; grand and pure; the houses of my religion… From their lofty summits I view my past, dream of the future, and with unusual acuity I am allowed to experience the present moment.
My strength renewed, my vision cleared, in the mountains I celebrate creation, each journey I am reborn."

Anatoli Boukreev

 

Das Ziel: 4 x 9, d.h. 9999 Höhenmeter an einem Tag

Der Tag: Samstag 28.06.2003

Der Ort: Berchtesgadener Alpen, Watzmann

 

Samstag, 28.06 2.45 Uhr: meine Uhr weckt mich; es regnet nicht, besser nicht mehr; seit ich um 22 h durch Salzburg zum Parkplatz an der Wimbachbrücke bei Berchtesgaden gefahren bin hat es geregnet. Keine guten Bedingungen für solch ein Unternehmen. Was aber schwieriger wiegt sind die inneren Zweifel: am besten gar nicht loslaufen wenn es regnet; lohnt sich nicht es zu versuchen; dann aber kein Regen, damit kein Grund es nicht zu versuchen.

Der Rucksack war schon gepackt, nur noch Pullover, Hose und die Schuhe anziehen. 3 h Start. Es ist stockfinster, nicht kalt, eher etwas feuchtwarm. Habe die Stirnlampe Petzl am Kopf eingeschaltet um den Weg zu finden. Es geht zumeist im Wald auf einem guten Schotterweg aufwärts. Ich bin nicht müde, ich denke nicht viel, ich geh aufwärts, konstant im (so nenne ich ihn) atemfrequenzkontrollierten Gehrhythmus. Ich sehe erstmals auf die Uhr als ich exakt nach 45 Minuten bei der Stubenalm aus dem Wald komme. Da schalte ich die Stirnlampe aus. Prompt rumpel ich gegen einen Elektrozaun einer Kuhweide. Aber der Zaun war nicht eingeschaltet. Nach weiteren 45 Minuten bin ich bei der Falzalm. Ich esse zwei Gebäckstücke und trinke etwas. Dann weiter hoch zum Watzmannhaus. Es ist kurz nach 5 Uhr. Es scheint noch niemand von der Hütte aufgebrochen zu sein. Zwei kleine Zelte stehen etwas abseits vom Watzmannhaus und dort scheint man schon wach zu sein. Hoch geht es Richtung Watzmann Hocheck (das ist der nördlichste der drei Watzmann Gipfel mit 2651 Metern). Der Weg ist felsig, zwei Stellen sind mit Drahtseilen versichert, die aber eigentlich nicht benötigt werden. Das fordernde bei diesem Gipfel ist, das man ihn nie sieht, glaubt man einen höchsten Punkt zu erspähen und hat man ihn erreicht, tut sich weiter hinten ein noch höherer auf. Das Gipfelkreuz sieht man erst wenige Minuten bevor man es erreicht. Ca. 6.15 bin ich oben. Als Belohnung gibt es drei Müsliriegel. Es pfeift gehörig oben. Auch ist keine gute Sicht gegeben. Ich steige wieder ab, mit kurzen Pausen zum Trinken bin ich um 8.41 Uhr wieder unten beim Auto. Bin schneller als mein Zeitplan es vorsah (3,5 h Aufstieg, 2,5 h Abstieg + 1 h Pausen)

Zwei Dinge hatte ich mir während des Runtergehens vorgenommen: einen Parkschein für das Auto am Automaten zu lösen und die Stirnlampe auszuladen und die Digicam einzupacken. Ich machte Brotzeit und aß Schokoriegel. Um 9.30 ging ich wieder los. Keine Frage OB ! Jetzt war mehr am Weg los. Ich wunderte mich auch über die Steilheit der Passagen, die ich mit der Stirnlampe in der Dunkelheit gegangen bin, das hatte ich so nicht in Erinnerung. Ich machte einige wenige Trinkpausen um keinesfalls zu dehydrieren. Falzalm, Watzmannhaus verflogen beim 2.Aufstieg. Kurze Zeit ging ich auch hinter einem Pärchen, denen ich dann später beim Abstieg vom Hocheck noch mal begegnete. Das ist einfacher zu gehen, schön hinterher zu trotten. Ab der Falzalm sage ich mir, diese Passagen gehe ich heute zum letzten Mal, jeder dieser Meter wird zum letzen Mal im Aufstieg beschritten. Wieder zog sich die letzte Passage zum Gipfel recht lang hin und wieder blies ein kühler Wind. 13.01 war ich zum zweiten Mal heute hier oben. Meist war es neblig. Kurz konnte ich den Mittelgipfel sehen. Dann zog es wieder zu.

Wie schon bei den 4x7 vor zwei Jahren, beginne ich beim Abstieg jetzt manchmal das rechte Knie zu spüren. Auch merke ich einige Anzeichen von Müdigkeit gepaart mit nachlassender Kondition, was mich dazu veranlasst, mich besonders bei den felsigen Passagen konzentriert und etwas langsamer zu bewegen, um keinesfalls auszurutschen. Ich musste an Manni Kalz, Bananenflanken und Horst Hrubesch denken. Was die wohl heute machen, schwirrte es in meinem Kopf herum. Ab dem Watzmannhaus abwärts merkte ich, wie ich doch deutlich langsamer als beim ersten Abstieg vorankam. Ich versuchte so gut wie möglich das Knie mit den Stöcken zu entlasten. In den flacheren Passagen lief es besser, dennoch hatte ich immer im Hinterkopf, wie höllisch der zweite Abstieg bei der 4x7 Tour vor zwei Jahren gewesen war. Nur so etwas nicht noch einmal. Bei der Mitterkaseralm auf ca. 1400 Metern machte ich Halt. Innerlich hatte ich mich fast schon entschieden, nach diesem Abstieg zum Auto nicht noch einmal aufzusteigen. Es bei zweimal Watzmann-Hocheck zu belassen, einen Titel für die Geschichte hatte ich auch schon: "Einmal 8000 Meter". Ich lag im Gras, döste und da ich keinen Zeitdruck mehr spürte, verweilte ich fast eine dreiviertel Stunde. Nach der Rast sind die ganzen Schmerzen im Knie plötzlich weg. Und der Traum von 9999 wieder da. Die letzten 500 Höhenmeter abwärts, wo es wieder steiler ist, kamen die Knieprobleme zwar wieder, aber nicht extrem. Kurz vor 17 Uhr war ich wieder beim Auto. Was war vernünftig ? Ohne größere Probleme 8000 oder doch noch einmal 1000 Meter hoch mit dem Risiko das der Abstieg höllisch würde ?

Ich denke mir, diese Chance werde ich nie wieder haben, es muss so vieles stimmen, die Wahrscheinlichkeit ist so gering. Warum also nicht versuchen !

Um 17.30 h gehe ich wieder los. Zum dritten Mal heute. Ich rechne mir aus, wieviel Höhenmeter exakt benötigt werden. Eigentlich wollte ich bis zur Falzalm, die liegt auf ca. 1620 Meter. Aber die letzten Meter sind für mein Knie nicht gut zu gehen (abwärts). Also rechne ich, wie hoch für wieviel Meter insgesamt. Ich komme auf 9920 Höhenmeter, wenn ich bis zur Wetterstation vor der Alm gehen würde (tatsächlich habe ich mich etwas verrechnet). Ich komme mir schwerfälliger vor beim Gehen, irgendwann kommt mir ein Trupp entgegen, die hatte ich auch schon mehrfach heute gekreuzt. Was die wohl denken, weshalb ich sie erst beim runtergehen überhole und jetzt wieder auf halber Strecke nach oben unterwegs bin ? Ich merkte jetzt auch beim Aufstieg das Knie, nicht so sehr, das ein Gehen nicht möglich ist, aber ein Gefühl von "bist scho ein bisserl lang unterwegs Junge"...eigentlich möchte ich nur bis zur Mitterkaseralm auf 1400 Metern, dort wo ich vorhin im Gras lag. Aber schummeln ist nicht. Dann die letzten steilen Meter bis zur Wetterstation. Ich trinke und mache einige Bilder, z.T. mit Selbstauslöser. Dann höre ich es etwas grummeln und denke mir es sei besser sofort den Abstieg zu beginnen. In den steileren Passagen versuche ich teils das rechte Bein "steif" zu halten, um das Knie nicht abwinkeln zu müssen, das muss für Außenstehende seltsam aussehen, aber es sind um diese Zeit keine Wanderer mehr außer mir unterwegs.

Dann, bevor es wieder in den Wald geht, den letzten 500 Metern Abstieg entgegen, pausiere ich nochmals. Ich mache mit der Kamera eine Filmaufnahme. Ich wußte, es dauert jetzt höchstens noch eine dreiviertel Stunde. Dann bin ich wieder unten beim Auto. Es ist 20.13 Uhr. Ich bin weder unten noch oben. Ich bin angekommen. Ich jubel nicht, ich weine nicht, ich sitze einfach nur da...ja...ich bin einfach nur da...

Helmut

P.S.

Am Sonntag war ich im Schwimmbad in Schönau am Königsee. Bei den "Gehversuchen" kam ich mir vor wie ein 125-Jähriger. Klar habe ich Muskelkater, aber sonst nichts. Ironie am Rande: Knieproblem heute ?? Wie, hatte ich schon je Knieprobleme ???

Statistik:

9860 Höhenmeter effektiv

Gesamtgehzeit: 13.10 h

Aufstiegszeit Gesamt: 7.35 h

Durchschnittsgeschwindigkeit Aufstieg: 650 Höhenmeter/Stunde

Abstiegszeit Gesamt: 5.35 h

Durchschnittsgeschwindigkeit Abstieg: 885 Höhenmeter/Stunde

Flüssigkeitsaufnahme: ca. 8 Liter